Eröffnungsreden des Ausstellungsleiters zur Eröffnung zweier Vernissagen

 

Meine Frau und ich freuen uns ganz besonders eine durchaus repräsentative Ausstellung mit Werken des Nassacher Künstlers, Ruthard Fella, aus den letzten 16 Jahren, heute eröffnen zu dürfen.

 

Ruthard hat sich alles, was er heute kann, selbst beigebracht, er ist Autodidakt. Der Vorteil von Autodidakten ist, dass sie sich nicht mühsam von den Dogmen einer Künstlerausbildung frei machen müssen. Sie sind von Anfang an auf sich selbst gestellt. Natürlich hat er sich Anfangs an großen Vorbildern orientiert. HAP Grieshaber oder Miro, Kirchner oder Jaenisch, um nur einige zu nennen.

 

Er hat sich aber auch an modernen Ideen orientiert, die seinen eigenen Überlegungen verwandt waren. Robert Rauschenbergs „Combines“ entsprechen ganz der Sammelleidenschaft von Ruthard. Fundstücke werden dort neu kombiniert und rekultiviert und in einem neuen, durchaus unorthodoxen Zusammenhang präsentiert. Collagen mit Fundstücken, pastös überarbeitet zeigen die angesprochene Orientierung Ruthard Fellas an wesentlichen Auseinandersetzungen der Kunst und der Künstler des 20ten Jahrhunderts. Das ist generell heute nicht besonders erwähnenswert, da jeder ernsthaft interessierte Künstler sich umfassend über die Geschehnisse in der Kunstwelt umfassend informieren kann. Aber es unterscheidet einen Hobbykünstler von einem ernsthaft arbeitenden Autodidakten.

 

Was bringt einen Menschen mittleren Alters dazu sich plötzlich vehement der Kunst zu widmen? Natürlich drängt sich die Vermutung einer frühen, nie richtig geförderten Begabung auf. Ein Denkmuster unserer Zeit. Einmal ans Licht gebracht lässt sich die Leidenschaft, die in dem Menschen für die Kunst schlummerte, nicht wieder bändigen. Auch nicht, wenn die bisherige Umwelt – irgendwie erschreckt von dieser Veränderung an einem bekannten und fest definierten Menschen – erst einmal ablehnend reagiert. Der innere Drang in dem so wie neu geborenen Künstler bricht sich – Gott sei Dank – seinen Weg auch durch dornigstes Dickicht. Am heute sichtbaren Werk von Ruthard Fella ist zu sehen, was ein Kuss der Muse uns Allen, aber besonders dem Künstler zu schenken vermag.

 

Die Neugierde Ruthards war nicht mehr zu bremsen. Die Neugier auf alles was mit künstlerischen Mitteln gestaltbar ist. Jedes Werk wurde zu einem Meilenstein auf dem Weg zu immer raffinierterer Holzschnitttechnik, zu immer freier agierender Fantasie in der Ölmalerei, zu immer neuen Aufbrüchen in noch nicht verwendete Drucktechniken. Hochdruckverfahren, Tiefdruckverfahren, lineare und flächige Arbeitsweise, farbmonografische Werke wie explodierende Farbvulkane, vielschichtige, flächige Malerei und dagegen bis ins Relief getriebene pastöse Malerei, mal gespachtelt, mal direkt aus der Tube auf die Leinwand aufgebracht, aufgedrückt.

 

Dennoch ist keinerlei Sprunghaftigkeit oder Unstetigkeit zu bemerken, sondern ein konsequentes Fortschreiten von Werk zu Werk, von Phase zu Phase, von Drucktechnik herüber ins gemalte Bild, und immer begleiten Ruthard Fella seine fortschreitenden malerischen Erkenntnisse.

 

Doch meine Damen und Herren, all das bisher gesagte ist zufällig und unbedeutend, wenn es sich nicht bei der Betrachtung der Werke von Ruthard Fella, fast möchte ich sagen zwangsweise herausschälen lässt.

 

Frühe Werke: Zwei kleinere Arbeiten: Landschaften mit dörflichen Arrangement, bzw. ein Ausschnitt einer Architekturlandschaft. Zwei Arbeiten aus dem Jahre 1990, also die frühesten in dieser Ausstellung. Deutlich wird die starke Betonung der Kontur, die bis in die Farbe schwarz hinein traditionellen Formideen entspricht. Die fein abgestimmte Farbigkeit, der in den dicken Konturen gefangenen Flächen ergeben eine Art Teppichmuster. Auch in diesen Arbeiten ist die Passion für den Holzschnitt erkennbar, da die Flächigkeit der Darstellung. Die getrennten Farbflächen geradezu hindrängen zu einem drucktechnischen Verfahren. Der gesamte Bildaufbau ist eine Malerei, die so auch in einem vielfarbigen Holzdruck umgesetzt werden kann. Es wäre durchaus spannend, detektivisch sich in das frühe Werk zu fragen, um zu erforschen wo die Ursprünge wofür sind. War der Holzschnitt Pate für die flächige Malerei von Ruthard oder war es anders herum? Der hohe Abstraktionsgrad in diesen frühen Bildern hat möglicherweise Anleihen bei Kirchner oder Schmitt-Rottluff genommen. Auch die Verwendung reiner Farben, die ungemischt und kaum abgetönt aneinander prallen hat seine Wurzeln in Worpswede. Der Mut Ruthards die Trennung der Farbflächen durch dicke Konturen aufzugeben und sich damit auch von so wichtigen Vorbildern zu lösen, zeigt sich Schritt für Schritt in den folgenden Werken.

 

Freundschaft:

Die Veränderung gegenüber den frühen Bildern sind vor allem in der Linie, die jetzt fein gesetzt wird und nicht mehr dominiert und der veränderten Farbauffassung zu erkennen. Nicht mehr die reinen Farben werden gesetzt, sondern feine Abmischungen entwickeln Ton in Ton eine Farbkonstruktion von strenger Dichte. Die deutliche Absetzung durch die Farbe von Bildmotiv und Untergrund erhält den gewohnten Bildeindruck. Ein Oben, ein Unten, eine Vorne und Hinten definieren den Bildraum. Neu hinzu kommt das Thema: Beziehungsfragen, die Ruthard nicht mehr loslassen werden. Der Zusammenhang zwischen Farbgebung und feinfühliger Bearbeitung von Beziehungsereignissen ist bemerkenswert. Zeigt sich darin ein hoch entwickeltes Gefühl für die Kongruenz zwischen Inhalt und Form. Übrigens eines der ältesten Problemfelder der Malerei: Disegno e Colori wie die Renaissancekünstler in Italien dieses Problemfeld artikulierten, mussten in einem harmonischen Verhältnis stehen und mit dem Inhalt der Arbeiten korrespondieren. Es ginge zu weit die Überwindung solcher Regeln in der Kunst des letzten Jahrhunderts zu thematisieren, vor Allem müsste man dann auch die Wiederentdeckung ansprechen.

 

Ruthard blieb hier nicht stehen, sondern mit einer beeindruckenden Konsequenz überwindet er in seiner Malerei sowohl die dunkle/schwarze Kontur, und er lässt den gewohnten Bildaufbau hinter sich. Seine jüngsten Ölarbeiten nehmen keine Rücksicht mehr auf Oben und Unten oder auf Vorne und Hinten, der gesamte Bildraum wird in wechselnder Perspektive den fantasievollen Assoziationen Ruthards unterworfen. Die Aufgabe der Kontur übernimmt die Farbe selbst, sodass nur noch der unterschiedliche Auftragungsmodus erahnen lässt welche Farbteile eher konturieren und welche eher flächig füllen. Die Fröhlichkeit der Darstellung geht parallel mit der dicken Farbe, mit den prallen Farbtönen, die ihre Heiterkeit aus dem Bild schreien. Dabei werden die Formen immer chiffrierter. Die Augenformen drücken Gefühle aus, die mit den Farben gepaart zu einer Potenzierung des Ausdrucks finden.

 

Aber das vielleicht stärkste Element in diesen Farbexplosionen ist das erkennbare Wachsen des Bildes aus seinen eigenen Anregungen heraus. Kreis um Kreis, Muster um Muster, Farbidee um Farbidee wachsen auseinander hervor und gebären neue Gestalten und Muster. Man hat den Eindruck, dass der Maler sich ganz im Spiel um Form und Farbe im Prozess des Entwickelns verliert fast vergisst.

 

Eine zweite Quelle für Ruthards Kunstschaffen spielt in diesem hochassoziativen Vorgehen bei der Schaffung solcher Werke eine ganz entscheidende Rolle. Seine Sammelleidenschaft und seine Fähigkeit sich in jedem Moment und von jeder Form, von jedem Fundstück inspirieren zu lassen.

 

Frühe Collagen: Ein Stück Stoff bleibt nicht ein Stück Stoff, ein Sandkorn ist kein Sandkorn, ein Zahn nagt an der Zeit ein Teddy verliert ein Auge, ein Holzstück gewinnt es, ein Ast mutiert zum Dreizehrüssler, alles wandelt sich unter den Händen, Augen und Fantasien von Ruthard Fella. Genau diese Verwandlungen prägen auch seine Ölbilder. Aus einem Kopffüßler wird ein Fußköpfler, aus einem Nabel wird ein Knopf, aus einem Gesicht wird ein Ballon, eine Figur bringt die nächste hervor. Ist es nicht eine der spannendsten Fähigkeiten des Menschen sich loszulösen, zu fliegen, frei zu sein von jeder Logik, der Welt einen neuen Sinn zu verpassen. Die Abstraktion ist ein Mittel dazu, denn sie ist der Weg, die Idee von der Erdenschwere zu befreien, wie Paul Klee es ausdrückte. Erdenschwere ist in den Bildern von Ruthard nicht mehr zu finden.

 

Ruthard wäre nicht Ruthard wenn er nicht mitten in unserer Begeisterung für das freie Fliegen durch Form, Farbe und Raum, „Halt“, riefe. Er tut dies mit seinen ausgeklügelten Holzschnitten, die aus bis zu sechs Platten zusammengesetzt sind. Dort steckt die ganze Konzentration auf ein genau definiertes Ziel im Ablauf der Entstehung eines vielfarbigen Holzschnittes. Da wird nichts coloriert, wie das so häufig mit den Druckstöcken Dürers passierte, das würde sich Ruthard nie erlauben. Er wechselt nicht das Arbeitsfeld, er bemalt nicht Drucke und er bedruckt nicht Gemälde. Irgendwie ist ihm die Reinheit der künstlerischen Mittel eine Herzensangelegenheit, aber selbstverständlich die Übertragung von Erfahrungen aus der Welt der Druckgrafik in die Welt der Malerei zu nutzen. Hier taucht die schon angesprochene Konsequenz in der Handhabung seiner künstlerischen Mittel wieder auf. Er macht es sich nicht leicht, er kämpft sich durch die selbstgestellten Aufgaben und sucht geeignete Lösungen, keine einfachen, wie die mögliche Aquarellierung eines einfarbigen Druckes. Hier entdecken wir den perfekten Handwerker als das zweite Gesicht des frei fliegenden Fantasiejongleurs.

 

Es ist ein spannendes Spiel zu kreieren, neu zusammenzusetzen, Gewohntes in Frage zu stellen, scheinbar naiv zu gestalten und dabei alle Regeln zu überwinden. Man kann verstehen, dass ein Mensch mittleren Alters sich vom Bann dieses Kreierens fangen lässt. Ruthard Fella hat es gepackt und wir dürfen es genießen.

 

Egon A. Stumpf


 

Völlig anders ist die Vorgehensweise bei der Erstellung von Holzschnitten und Monotypien, wie sie uns Ruthart Fella vorstellt. Ruthart Fella hat sich ein künstlerisches Medium ausgewählt, das nur in einem geringen Maße von Assoziationen aus dem Arbeitsprozess heraus leben kann. Der Holzschneider muss genau überlegen, was er macht und welches Ergebnis er am Ende erwarten darf. Es handelt sich zumeist um ein kompliziertes Verfahren. Daran anschließen möchte ich doch eine für mich wichtige Frage: Ist das Aufwändige beim Erstellen eines Kunstwerkes ein Qualitätskriterium? In dem Sinne, dass mühevoll hergestelltes dem mühelos hergestellten überlegen ist?

 

Erlauben sie mir ein Beispiel: Ziehen wir ein mühevoll verdorbenes Essen einem mühelos gelungenen vor?

 

Es muss letztlich die künstlerische Qualität über den Wert einer Arbeit entscheiden und nicht der wie auch immer geartete Herstellungsprozess.

 

Holzschnitte sind historisch gesehen seit Dürer ein etabliertes Medium der Kunst. In dieser Zeit, im Kreise der Nürnberger Humanisten, wurde der Holzschnitt zu einer ungeahnten Perfektion gebracht. Wobei das Schneiden des Holzstockes selbst nicht von der Hand des Künstlers Dürer geschah. Dieser Prozess war unbedeutend. Das Drucken und der Entwurf waren entscheidend und die damit verbundene Verbreitungsmöglichkeit. Der Druck wurde zum Medium der einfachen Leute. Darin lag eine Chance aber auch die konkret sich einstellende Gefahr, dass reproduzierbare Kunst als billige Kunst abqualifiziert wurde. In diesem Medium gab es zudem bis in die Neuzeit wenig Experimente und Provokationen. Dabei lebt die Kunst des Holzdruckes von ihren einfachen Formen, die gerade in der Moderne gesucht werden, um komplexe Zusammenhänge ins Wesentliche zu verdichten.

 

Auch bei der Druckgrafik bleibt uns neben der unbenommenen Begeisterung für den komplizierten Prozess der Erstellung letztlich nur die Bildbetrachtung und unser Versenken in das Bild, um zu unserem Urteil zu gelangen. Alle anderen Wege zur Beurteilung sind Sackgassen und Irrwege. Das Bild, der Druck müssen uns gefallen, müssen uns auf irgendeine Art faszinieren.

 

Nehmen sie die Farbenfreude bei Fellas Drucken und Monotypien als Synonym für Lebensfreude. Nehmen sie die bunten Figuren aus Holz als Stimmungsumwandler zum Guten. Lassen sie sich vom Humor in den Arbeiten Ruthard Fellas anstecken. Versenken sie sich in die zarten Farben der Monotypien und versuchen sie die Botschaft zu begreifen, die Ruthard Fella für uns aus dem Zen übersetzt hat. Lassen sie sich einfach ein auf dieses Werk und sie werden spüren wie ansteckend die quirlige Vielfalt der Formen und Farben auf ihr Gemüt zu wirken in der Lage ist. Es sind Werke, die mit elementaren, ja primitiven Formen oft plakativ vereinfachend komplexe Zusammenhänge darstellen und uns so die Augen für sensitive Innenwelten öffnen.

 

Egon A. Stumpf